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Vergessen Sie 2000. Wir schreiben das Jahr 1703

Unsere Zeitrechnung beruht auf der Kalenderkorrektur von Papst Gregor XIII. Er hat 1582 im Kalender 10 Tage überspringen lassen, damit astronomische Situation und Tageszählung wieder übereinstimmen. Damit hat er aber nicht den Fehler korrigiert, der seit Cäsar (45 v. Chr.) im julianischen Kalender aufgelaufen ist, sondern nur den Fehler seit ungefähr 300 n. Chr. Und trotzdem liegt seitdem der Frühlingsbeginn (Äquinoktie) wieder auf dem 21.3. Mit falscher Korrektur zum richtigen Ergebnis!?


Die Spezialisten behaupten, dass sich Gregor auf das Konzil von Nicäa (325) bezog, weil damals der Kalender entweder korrigiert oder zumindest der Frühlingsbeginn auf den 21.3. festgeschrieben worden sei. Doch dafür fehlen die Belege; alle Argumente sprechen dagegen. Somit wäre der Abstand zwischen Cäsar und Gregor XIII. um rund 300 Jahre kürzer als bislang gedacht - gemäß meiner These sind drei Jahrhunderte erfundener Geschichte eingefügt worden.


Für fiktive Zeiten, die ich von 614 bis 911 ansetze, kann es keine realen Zeugnisse geben. Nun gelten diese Jahrhunderte ohnehin als "dunkel", weil die geschichtlichen Überlieferungen ebenso dürftig sind wie die archäologischen Funde. So finden wir in keiner heutigen, ursprünglich römischen Stadt eine frühmittelalterliche Besied-lungsschicht; die zugehörigen Geschichtsquellen sind keines-wegs zeitgleich, sondern oft erst Jahrhunderte später verfasst worden; Hunderte byzantinischer Städte scheinen in dieser Zeit unbewohnt gewesen zu sein; die Funde im islamischen -Spa-nien setzen keineswegs 711 mit der Eroberung ein, sondern erst im frühen 10. Jh. - und so fort

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So die These richtig ist, darf kein einziger Fund für eine Zeit zeugen, die nie abgelaufen ist. Deshalb waren die ihr zugeschriebenen Reste zu prüfen.


Von den über 1.000 schriftlich genannten Bauwerken ist kaum eines auch nur aufzuspüren. Die Aachener Pfalzkapelle als das berühmteste erhaltene Zeugnis aus dieser Zeit kann nicht ohne Bauhütte, ohne direkte Vorläu-fer und Nachfolger entstanden sein und gehört niemals - laut meinem unwiderlegten Beweisgang - in die "Dunkelzeit". Die Lorscher Torhalle rückt von 770 oder 870 ins frühe 12. Jh. Die wenigen anderen Kirchen der "Karolingerzeit" lassen sich zwanglos den ottonischen eingliedern. Auch die "karolingische" Buchmalerei ist in Wahrheit ottonisch und aus diesem Grund kaum von den Kunstwerken dieser Zeit zu unterscheiden.


Fürs damalige Mitteleuropa sind Grabfunde am häufigsten. Aber sie können keineswegs absolut, jahrgenau datiert werden, sondern nur relativ. Die erkennbare Abfolge wurde aber nicht über rund 200 Jahre verteilt, sondern - der herrschenden Chronologie entsprechend - über mehr als 400 Jahre, womit ein schein-barer Bevölkerungs-rückgang im 6. Jh. und eine unerklärbare Bevölkerungsexplosion um 1000 n. Chr. erzeugt wurde.


Mit vielen derartigen Untersuchungen ließ sich zeigen, dass diese drei Jahrhunderte tatsäch-lich "ausgekehrt" werden können und müssen. Dies gilt für die gesamte, miteinander synchronisierte Alte Welt von Island bis Indonesien.


Wer hat die Uhr vorgedreht? Die Kaiser Konstantin VII. und Otto III. sowie Papst Silvester II. waren die Urheber. Otto (Kaiser 996-1002) wollte nach alter christlicher Rechnung 6.000 Jahre nach Schöpfung den siebten Welttag als Stellvertreter Jesu Christi einläuten. Der von ihm inthronisierte Papst (999-1003) unterstützte ihn als Kenner auch der arabischen Astronomie und Mathematik. Da Ottos Mutter vom byzantinischen Hof abstammte, war damals die Verbindung zum dortigen Kaiserhaus gegeben. Dort brauchte man zusätzliche Zeit, weil die Perser 614 die wichtigste Reliquie der Christenheit, das Kreuz von Golgotha, unwiederbringlich geraubt hatten. Nur innerhalb erfundener Zeit ließ sich das Rückgewinnen der Reliquie erzählen und motivieren.


Das gemeinsame Vordrehen der Uhr wurde durch eine Zusatzmaßnahme kaschiert. Indem man den Bezugspunkt der Jahreszählungen veränderte, wussten nur Eingeweihte, dass hier "in Gottes Namen" manipuliert worden war. Die Byzantiner wechselten von 1014 Seleukidenära auf 6508 Schöpfungsära, die Christen im Westen von 419 Märtyrerära auf 1000 n. Christi Geburt; die Juden schlossen sich an und stellten von 1014 Seleukidenära auf 4464 nach Erschaffung der Welt um. Bislang war unerklärlich, warum die Kulturträger in Europa allesamt, aber klammheimlich neue Zählungen eingeführt haben.


Erfundene, aber leere Zeit will gefüllt werden. Otto und Silve-ster erfanden Geschichten und einen besonders großen Kaiser Karl, auf den sich Otto genauso beziehen konnte wie das Papsttum, das ihn gekrönt und ge-salbt hätte. Dieser Karl erhielt mit dem 25. 12. 800 einen Krönungstag, der schon 497 Jahre früher als Beginn des letzten Welttages errechnet worden war. Karl erfüllte demnach dieselbe Bedingung wie Otto - und wir verstehen nun, warum seine (fiktiven) Zeitgenossen darüber nicht in Angst oder Jubel ausbrachen. Denn die Krönung des erfunde-nen Karls sollte hinter dem Jahrtausendkaiser Otto zurück-stehen.


Verständlich wird auch, dass der Millenniumsbeginn des Jahres 1000 keine Ängste freisetzte: Da die Umstellung kurz vor dem Stichtag erfolgte, konnten keine Endzeitängste aufkommen. Die Gestalt Karls d. Gr. erhielt von Otto III. bis Friedrich II. dann so viele Facetten, wie sie eine reale Person niemals gehabt haben kann. Andernorts entstanden andere Geschichten, so die Märchen um den ebenfalls fiktiven Harun al-Raschid. So hat sich das Mittelalter zu einem Teil selbst erfunden. Erst mit dieser kühnen These lösen sich die Widersprüche zwischen Bauten, Funden und Schriften.


Heribert Illig

(von H. Illig: Das erfundene Mittelalter; Düsseldorf - München, und Wer hat an der Uhr gedreht?; München)

(Welt am Sonntag vom 2. Januar 2000)