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Süddeutsche Zeitung vom 30.10.97 zur Frankenaustellung:
Mannheim
Kunterbunt muß es zugegangen sein zwischen den Jahren des Herrn
350 und 850, so praeterpropter. Ein ständiges Donaurauf und Rheinhinunter,
über die Alpen weg und durch die Pyrenäen davon, dann raus aus
den östlichen Steppen und hinein in den Ardennenwald oder runter
in die Provence. Ein Tohuwabohu der Völkerschaften und Stämme;
als wären sie alle von Wespen gestochen, so ziehen und hatschen,
so fliehen und pirschen sie quer durch Sümpfe, Wälder, Ackerland,
unsteter als später Amerikas Siedler, und das geht fünfhundert
Jahre lang so. Vor allem die ersten beiden Jahrhunderte, da war
überhaupt kein Halten mehr im Gewurl aus Westgoten, Ostgoten,
Wandalen und, die auch noch: den Hunnen. Jene plündern Rom, die
da erobern Karthago, diese prügeln sich möderisch in der Champagne
(auf den Champs Elysées, den Katalaunischen Feldern), jetzt räumt
Attila ganz Westeuropa und wird von burgundischen Nibelungen verfolgt,
dann bröselt das Gotenreich von Venedig bis Palermo, auf dem Böhmerwald
krabbeln die Bajuwaren hinüber ins Land der Bayern (das es damals
noch nicht war), dafür mußten andere wieder weg. Die Römer bauen
derweil ihre Kastelle nach und nach ab und lassen Alemannen, Chatten,
Sachsen und Franken einander die Köpfe einschlagen. Ach, zwei
Dutzend weitere Stämme gab's, und alle zogen hin und her und waren
giftig, wenn sie sich trafen. Ganz im Eck droben tauchte auch
noch König Artus auf mit seinem Riesentisch und mit all den Helden,
und somit waren England und Schottland, die Kelten und die Bretonen
gleichfalls im Spiel: ein totales Durcheinander, angefüllt mit
Riesennamen: Attila, Theoderich, Karl Martell, Alarich ('Nächtlich
am Busento lispeln'), und die Hühner, Schafe, Kinder, Pferde,
Frauen sind ja wohl alle auch immer mitgewandert, man hat gekocht
und gewohnt, wird Feste gefeiert haben und Kämpfe gekämpft, und
dann ist man gestorben und hat sich ins Grab gelegt. Und wir buddeln
jetzt in der Erde danach. In Mannheim, im archäologisch-völkerkundlich
ausgerichteten Reiss-Museum, sind die üblichen Knochen und Bandkeramiken
zur Seite gerückt worden und haben auf 2000 Quadratmetern Platz
für eine Ausstellung gemacht: 'Die Franken - Wegbereiter Europas',
weshalb nun deren Schirmherren Kohl und Chirac sind, auch Teufel
schirmt mit und Frankreichs Kulturminister desgleichen: eine repräsentative,
zwei Völker verbindende Geschichte also, deshalb soll sie im Frühjahr
dann in Paris, im Sommer / Herbst in Berlin gezeigt werden. Die
Franken' sind seit 1945 das erste gemeinsam konzipierte Ausstellungs-
Projekt deutsch-französischer Kooperation', schreiben die Mannheimer
mit Stolz, 'alle führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
der Frankenforschung sind daran beteiligt.' Da kann eigentlich
nichts fehlen. Und möglicherweise fehlt wirklich nichts. Dreitausend
Exponate 'aus den führenden Sammlungen Europas', der Katalog mit
1100 Seiten wiegt über vier Kilo und birgt hundert Aufsätze und
Forschungsberichte. Franken ohne Schranken. Nichts fehlt von dem,
was es gibt. Nichts als der Durchblick. Franken, Europa, Wegbereitung
- was stellen wir Intessenten uns dabei vor? Seltsam schon, was
wir Normalbesucher von den 'Franken' wissen oder so ungefähr in
Erinnerung haben, vielleicht viel Fehlerhaftes. Zum einen, daß
drüben ein ganzes Land nach diesem Stamm heißt und bei uns immerhin
eine schöne Region rund um Würzburg und Nürnberg. Und daß der
Stamm doch wohl germanisch war. Also immerhin ein Bindeglied zwischen
Franzosen und Deutschen. Daß die Franken uns nach dem Bruderstamm
'Alemannen' nennen und nicht Germanen, versteht sich: Germanen
waren sie schließlich selbst. Den Franken aber gelang es damals,
beginnend mit König Chlodwig um 500, sich Gallien einzuverleiben
- doch genausogut ließe sich sagen, sie wurden von Gallien einverleibt,
wenn auch, zugegeben, eine fränkische Familie das Sagen hatte:
die der Merowinger, später jene der Karolinger. (Dem Laien kommt
das vor als sagte man, in den 1920er Jahren hätten die Sizilianer
Amerika erobert.) Wir wissen jedenfalls wenig, was in diesen 300
Jahren abgelaufen ist. Was die so gemacht haben, wie gelebt, gedichtet,
gekämpft, gegessen. Über die Griechen wissen wir alles, über die
Römer auch, bis etwa 500 gibt's jede Menge Nachrichten, Kunst
und Schriftliches. Danach zappenduster, weshalb wir vom 'dunklen
Mittelalter' sprechen. Dabei denkt der Laie vergruselt an Folter
und düstere Kirchen mit Schießscharten, an Baßgesänge und Lehmhütten.
Und doch meint diese 'Dunkelheit' lediglich den Forschungsstand.
Nun also die Erhellung: Es werde Licht mit dem Glanz einer einmaligen
Bündelung aller Leihgeber und Forscher! Fibeln liegen in Vitrinen,
angebröckelte Lanzenspitzen, Geschmeide, ein Helm mit eisernem
Nackengeflecht; wieder Fibeln, wieder ein Schwert, noch ein Helm;
Münzen, Becher, Siegelringe. Im nächsten Saal Fibeln, Ringe, Trinkgefäße.
Herrliche Stücke, in Gold, in Silber, sehr schön. Dazwischen gezeichnete
Landkarten: Aufriß eines Siedlungsareals, Ausbreitung der Chatten,
der Franken, der Viehzucht. Karten über die 'Verbreitung der Taschen
mit vogelförmigen Zierbeschlägen' (oder ähnlichem). Einmal schreiten
wir gar durch ein nachgebautes Hügelgrab, es soll ein königliches
sein, darin liegt ulkig hingemäht auf Stroh der König Rass, was
sagt uns dies? Das ganze Mittelalter ein Gräberfeld. Das alles
scheint eine Inventarsammlung über 300 tatsächlich dunkle Jahre,
ein Kassensturz: zeigen wir, was überhaupt da ist, was wir zusammengekratzt
haben. Für Fachleute muß das erhebend sein, Geschichtsamateure
langweilen sich. Weder wird spürbar, wie die Franken es praktisch
geschafft haben, ihr Reich zu bauen, noch, weshalb damit Europa
der Weg bereitet wurde. Hätten das nicht die Römer auch hingekriegt?
Oder vielleicht die Goten, möglicherweise die Hunnen, wer weiß?
Es geht einem beim Betrachten der Vitrinen und Schaubilder, der
schrecklich plumpen Schlachtengemälde und der staksigen Kleiderpuppen
und Grabhügel wie angesichts der (sogar tausendjährigen) Mayakultur:
Immerzu haben die Pyramiden gebaut und eckige Jade- und Specksteinzier
geschnitzelt. Schön, aber doch auch ernüchternd. Und von den drei-
bis vierhundert Mittelalterjahren bei uns kennt man offenbar Sattelformen
und Fibeln, aber sonst scheint's eine recht inhaltsleere Epoche
gewesen zu sein, verglichen mit den Jahren vorher und danach.
Dabei umfaßt diese Spanne doch eine Zeit wie die vom 30jährigen
Krieg bis heute. Was, wenn es die gar nicht gegeben hat, diese
drei-, vierhundert Jahre? Wenn zwischen Chlodwig und Karl gar
nichts war? Vielleicht selbst Karl nicht. Wenn einfach ein späterer
Herrscher, also Otto III. natürlich, der ja auch das christliche
Weltreich als 'Römisches Reich' neu gründen wollte, wenn der also
eines Tages dekretiert hätte: So, jetzt sagen wir, dies ist nun
Anno Domini 1000 (Otto regierte bis 1002)? Wäre das nicht möglich?
Bis 500 wußte man alles recht genau, von etwa 850 an auch wieder,
fehlten also einige Säkula dazwischen, um nun das Jahr 1000 zu
schreiben. Wenn man die nun legendär gefüllt hätte, wir also heute
eigentlich erst im Jahr des Heils 1650 (so was) wären? Jedenfalls
behauptet dies der Autor Heribert Illig in seinem eben erst bei
Econ erschienenen Buch Das erfundene Mittelalter (430 Seiten),
Untertitel 'Die größte Zeitfälschung der Geschichte' - Ich muß
sagen: ein aberwitziges Buch, jedoch ungemein belesen und daher
auch verwirrend stichhaltig. Wir aber könnten uns dann freuen,
daß wir noch lang nicht an der Schwelle des neuen Jahrtausends
stehen, vor dem doch viele Abergläubige zittern. Und wir hätten
obendrein eine Erklärung dafür, warum die große 'Franken'-Ausstellung
in Mannheim, später Paris und Berlin, einfach keine wirkliche
Anschauung dieser dreijahrhundert Jahre gibt. (Bis 6. Januar,
der Katalog kostet 70 Mark.)
MICHAEL SKASA