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„Das hat kein Niveau!“
Anmerkungen zu zwei Rezensionen über Faußner und ‘seinen’ Wibald von Stablo
Gerhard Anwander
2003 veröffentlichte Hans Constantin Faußner sein umfangreiches Werk über den Abt und Fälscher Wibald von Stablo. Die Zeitensprünge haben sich noch im selben Jahr damit beschäftigt [Anwander 2003], 2004 wurde eine entsprechende Langfassung in das Internet gestellt [Anwander 2004]. Jetzt sind Reaktionen der Geschichtswissenschaft zu vermelden, von denen wir die im Internet verbreiteten betrachten.
Wir beginnen mit der von Jürgen Römer (Landeskirchenamt der Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel), der sich bereits kaum zu überschätzende Verdienste um die Klärung der Frage erworben hat, ob der Adler als Symbol kaiserlicher Macht bei Karl dem Großen fungierte [Römer 2001; vgl. Illig 1999, 239]. Er schreibt nun für die Sehepunkte und führt zu der Schlussfolgerung Faußners, dass alle Königsurkunden vor 1122 gefälscht seien, richtigerweise aus:
„Grundlage für diese weit reichende These sind rechtshistorische Erwägungen, denen zufolge es dem König vor dem Wormser Konkordat nicht erlaubt - und damit auch nicht möglich - gewesen sei, Grund und Boden zu vergeben. Alle Urkunden, die solches zum Gegenstand hätten, seien dementsprechend als Fälschungen anzusehen; sie seien als Quellen für ihre angebliche Entstehungszeit irrelevant, gäben aber sehr wohl Einblick in die spezifischen juristischen Probleme kirchlicher Amts- und Würdenträger der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts.“
Man sollte nun erwarten, dass eine fundierte Gegenargumentation erfolgt, da der Autor mit dieser These offensichtlich nicht einverstanden ist:
„Die sich durch solche hanebüchenen, gegenüber der Forschungsgeschichte von Diplomatik und Paläografie völlig ignoranten Aussagen ergebenden Probleme inhaltlicher Widersprü che glaubt Faußner mit den unterschiedlichsten Hilfskonstruktionen vom Tisch fegen zu können [...] Gegen die reichhaltige Forschung hat Faußner in der Regel wenig mehr denn Polemik zu bieten.
Faußner hat sich im Laufe der Jahre offenbar in eine Verschwörungstheorie hineingesteigert, die sich außerwissenschaftlicher Axiome bedient sowie mit zahlreichen Zirkelschlüssen arbeitet und die daher mit wissenschaftlichen Argumenten nicht mehr widerlegt werden kann. Es dürfte der Mühe kaum wert sein, seinem sehr dicht verfassten, aber dabei durchaus sprunghaft angelegten Werk mit seriösen Argumenten entgegen zu treten.“
Nach sachlicher Gegenargumentation sieht das nicht aus. Wenn offensichtlich die Argumente fehlen, kommt es immer gut an, den Gegner als wahnhaften Verschwörungstheoretiker zu beschreiben, der sich in seinen Zirkelschlüssen verstrickt und dazu noch die „reichhaltige Forschung“ der Diplomatik und Paläografie gegen sich hat. Hier wird einmal mehr der Primat der Diplomatik beansprucht, der nach Faussner in Wirklichkeit als „Meinungsbildungsmonopol“ benutzt wird, was beispielsweise auf dem Fälschungskongress 1986 ausgerechnet von dem sonst so kritischen Carlrichard Brühl beschworen worden ist [Faussner 1997; 55-59]. Dieser Anspruch entbehrt damals wie heute jeglicher sachlicher Grundlage und erscheint in umso fahlerem Licht, wenn die Entstehungsgeschichte der beteiligten Disziplinen und Institutionen betrachtet wird, wie die der MGH (Monumenta Germaniae Historica; s. Anwander auf S. 718 f.).
Römer selbst arbeitet über Fälschungen in einem Projekt mit dem Titel Semiotik mittelalterlicher Urkundenfälschungen. Da ist es sicher beängstigend, wenn ganze Urkundengruppen auf einen Schlag wegzubrechen drohen. Es hilft aber nicht, die Augen zu verschließen, denn selbst der Diplomatikpriorisierer Brühl vermerkt:
„die Editionen [von Urkunden] geben meines Erachtens ein völlig falsches Bild, weil sehr viele Fälschungen bis heute nicht als solche erkannt sind und wir daher allenfalls die Spitze des Eisbergs zu sehen vermögen. [...] die Historiker wenden die diplomatische Methode ungenügend an, weil sie - bewußt oder unbe wußt - die Besorgnis haben, sie könnten zu viele Spuria finden. Fälschungen zu entdecken ist nämlich nicht fein; fein ist es nachzuweisen, daß eine scheinbare Fälschung in Wahrheit doch echt ist“ [Brühl 1986, zit. nach Faussner 1997; 57 f.].
Bevor man Diplomatik und ihre Ergebnisse fürderhin ernst nehmen kann, muss der ganze Eisberg gesehen und gewürdigt werden, müssen die Dokumente erst einmal nach allen Regeln der modernen kriminaltechnischen Kunst untersucht werden. Denn wenn einmal ein großer Teil als Fälschung – so wie jetzt – erkannt ist, dreht sich die Beweislast um: Die Unschuldsvermutung: Alle Dokumente gelten als echt, bis wir nicht mehr umhin können, sie als Fälschung zu sehen, wandelt sich in den Generalverdacht um: Alle sind gefälscht, bis Untersuchungen das Gegenteil anzunehmen erlauben.
Zudem geht es hier um die Interpretation von Schriftstücken, die Rechtsdokumente darstellen; diese sind bei einem Rechtshistoriker wie Faussner allemal in ebenso guten, wenn nicht besseren Händen als in solchen eines Diplomatikers mit offenbar integriertem Prioritätsdünkel.
Die weiteren Vorhaltungen Römers sind auch den Autoren der Zeitensprünge vertraut. Es ist allgemeines, inhaltsloses Gerede im Stile von Presseerklärungen zu verbal entgleisten Politikern:
„Faußner arbeitet mit suggestiv aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten anderer Autoren und mit zum Teil überholter Literatur - so ist einer seiner wichtigsten Gewährsleute Max Manitius -, bedient sich eines bisweilen unglücklichen und grammatikalisch fragwürdigen Stils, und die nicht wenigen Druckfehler passen gut zum auch ansonsten zweifelhaften Charakter seines Opus.“
Sicherheitshalber verzichtet Römer darauf, Beispiele für Faussners angeblich schlechte Zitierweise zu bringen, sonst könnte man das als Leser ja nachprüfen (s.u.), und von zahlreichen Druckfehlern ist mir nichts aufgefallen. Weiter regt sich der Rezensent darüber auf, dass Faußner seinen Wibald oft in dessen Passionen kraftvoll beschreibt – Schwadroneur, „erfüllt von Hass und Wut“ usw. – und kommt dann zu seinem ‘Fangschuss’:
„Es scheint dem Rezensenten, als habe hier ein Forscher jede Distanz zu seinem Forschungsobjekt und den Überblick in seinem hingebungsvoll aufgebauten Konstrukt verloren. Jedes die ser Zitate könnte man wohl auch auf seinen Urheber anwenden. Dass sich ein renommierter Verlag wie Olms für den Druck dieses Machwerks bereit gefunden hat, stimmt bedenklich. Oder hatte man etwa die Jünger eines Heribert Illig im Blick, die Faußner schon für sich entdeckt haben? Honi soit, qui mal y pense. Vor dem Kauf dieser fast 300 Euro teuren Bände muss eindringlich gewarnt werden, sie haben in einer wissenschaftlichen Bibliothek keinen Platz!“
Wie tief muss die Angst bei den Mediävisten sitzen, wenn sie schon derartig verteufeln müssen. Fehlt eigentlich nur noch die Anregung zur Bücherverbrennung, bevor sich die Jünger Jesu – Pardon – Illigs zu Hunderttausenden auf dieses „Machwerk“ stürzen könnten.
Das Werk von Faußner mag Schwächen haben und sich nicht immer leicht lesen! Von einem gewissen Asterix wird hingegen berichtet, dass dieser sich gut läse, nicht zuletzt wegen zahlreicher bunter bildlicher Lesehilfen. Sollten die wissenschaftlichen Bibliotheken vielleicht doch verstärkt auf diesen umsteigen, damit die Studenten der Geschichte weder mit „grammatikalisch fragwürdigem Stil“ belästigt, noch mit der These konfrontiert werden, dass die 200 Jahre Arbeit der MGH, zumindest was das frühe Mittelalter betrifft, für die Katz’ gewesen sein könnten? (Aber dieser Asterix wäre auch wieder für die Schulwissenschaft problematisch, ist doch dort dauernd die Rede von einer kleinen Gruppe Unbeugsamer, die sich erfolgreich gegen den Mainstream stemmten ...) In der Bayerischen Staatsbibliothek ist das Werk Faußners [2003] noch nicht erhältlich (Stand 1. Dezember 2005).
Es gibt noch eine weitere Rezension im Internet, verfasst von Martina Hartmann [2005], Heidelberg, die sich mit einer Darstellung über die 300 Jahre Merowingerzeit [2003] hervorgetan hat und mit einer emsigen Arbeit über Matthias Flacius Illyricus [2001], den kroatischen Kirchenhistoriker des Humanismus, habilitiert ist. Aus ihrem Vorwort geht hervor, dass sie fünf Jahre in der MGH unter Fuhrmann gearbeitet hat, was ein gehobenes Niveau der Rezension erwarten lässt. Diese Erwartung erfüllt sich, wenn auch auf sonderbare Weise. So wirft sie Faussner nicht wie Römer vor, er habe die Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, sondern behauptet subtiler, dass
„Äußerungen in Zusammenhänge gerückt werden, die so in der besagten Literatur nicht stehen, dafür ein Beispiel: in Teil 2 S. 321 nennt Faußner zunächst Walter Kochs grundlegende Monographie über die Schrift der Reichskanzlei im 12. Jahrhundert von 1979 im Zusammenhang mit den Schreiberhänden, fährt im darauf folgenden Satz fort mit den Worten ‚Diese Schreiber Wibalds, die nach seinem Diktat und seinen vorgegebenen Vorlagen die Urkunden mundierten...‘ und erweckt so den Anschein als stünde dies in der Form bei Koch, was natürlich mitnichten der Fall ist.”
Wäre dem so, dann stünde Faussner tatsächlich schlecht da – nämlich als jemand, der es nötig hätte dem Leser zu suggerieren, andere – renommierte – Forscher mit prinzipiell gegensätzlicher Meinung wären im Detail doch seiner eigenen abweichenden Ansicht. Das ist aber „natürlich mitnichten der Fall“, wie sich Hartmann auszudrücken pflegt, denn bei Faußner heißt es dort – im ganzen Satz:
„Diese Schreiber Wibalds, die nach seinem Diktat und seinen vorgegebenen Vorlagen die Urkunden mundierten, werden in der Diplomatik und so auch in der Monographie [also der von Koch!; G.A.] als königliche Kanzleinotare und -schreiber angesehen.“
Niemand, der den ganzen Satz zu lesen bekommt, käme auf die Idee, Faußner habe hier versucht, Koch für sich zu benutzen; er grenzt sich vielmehr explizit und klar von dessen Meinung ab. Nur Hartmann suggeriert das Gegenteil mit ihrer Zitierweise, indem sie den Satz genau da abschneidet, wo sich aufklären würde, was Faussner tatsächlich meint.
Das könnte man als Fall von Zitiermobbing sehen, der Hartmanns Art unter die von ihr selbst zu Unrecht an Faussner kritisierte Zitierweise einreiht, sagte sie doch oben, dass „Äußerungen in Zusammenhänge gerückt werden, die so in der besagten Literatur nicht stehen“! Hier also ein Lehrbeispiel dafür, wie man das macht! Natürlich dürfte sie dafür den Beifall aus der Zunft einholen, wird sich doch kaum einer die Mühe machen, dieses „Machwerk“ zu kaufen oder auszuleihen, um das Zitat zu überprüfen.
Aber vielleicht sollte man den Fall auch nicht überbewerten: jeder kann sich einmal vertun, auch eine habilitierte Wissenschaftlerin; sicherlich war einfach zu wenig Platz, um den ganzen Satz Faussners zu bringen. Wir konzentrieren uns deshalb auf ihre weiteren Ausführungen:
„Wenn der Präsident der MGH [Rudolf Schieffer; G.A.] eine wissenschaftliche, oder besser gesagt eine sich wissenschaftlich gebende vierbändige Monographie als ‚Schelmenroman‘ bezeichnet (Deutsches Archiv 59, 2003, S. 646), während die einschlägig bekannte Zeitschrift ‚Zeitensprünge‘ das Werk unter der Überschrift: ‚Mutiger Forscher entlarvt genialen Fälscher‘ feiert (2003), so kann es sich hier nur um einen neuen Beitrag in der leidigen, von Heribert Illig ausgelösten Diskussion um ‚das gefälschte Mittelalter‘ handeln, die erfreulicherweise wieder weitgehend aus den Medien verschwunden ist.”
Ja, es war meine Wenigkeit, die den „mutigen Forscher“ feierte, aber ich betonte dort, dass Faußner kein Anhänger der Phantomzeittheorie bzw. des erfundenen Mittelalters sei. Er ist auch kein irgendwie gearteter ‘Jünger’ des ’Propheten’ Illig – sondern ein unabhängiger Kopf und Denker, der es wagt, auch mit ‘Andersgläubigen’ zu sprechen, um im Bilde zu bleiben.
Hier soll offensichtlich Faussner, der als Rechtshistoriker noch einen Rest von Stallgeruch hat, ganz in das Lager der Irrationalisten abgeschoben werden, um den Abscheu bei der Stammherde zu steigern und den Ausstoß zu beschleunigen. Immerhin geht es um Kernfragen wie die, ob die MGH wirklich zur Geschichte des „deutsch-französischen“ frühen Mittelalters beitragen kann, oder lediglich in recht kostspieliger Weise ein Kriminalarchiv verwaltet. Denn nach Faußner wurden im Wesentlichen nur die gefälschten Urkunden archiviert, weil man hoffte, nach anfänglichen Niederlagen doch noch einen Prozess damit zu gewinnen. Derartige Misslichkeiten gefährden Positionen, und so darf man sich nicht wundern, wenn Hartmann zum ebenso kraftvollen wie unbegründeten Schlag ausholt:
„behauptet er [Faussner; G.A.] allen Ernstes, Wibald habe über 6000 Königsurkunden, deren Originale in den Archiven von ganz Europa liegen, gefälscht und außerdem auch eine Reihe erzählender Quellen ‚gedichtet‘ wie beispielsweise Einhards Vita Karoli, Widukinds Sachsengeschichte, Ruotgers Vita Brunonis und nicht zuletzt das gesamte Werk Hrotsviths von Gandersheim.“
Zweifeln kann man ja daran, ob Wibald der Alleintäter ist, aber warum soll es angesichts allgemein akzeptierter Fälschungen, mit bis zu 10.000 Einzeldokumenten (z.B. Pseudoisidorien) nicht möglich sein, dass diese 6.000 Königsurkunden Fakes sind, auch wenn es weh tut, das einzusehen? Und hat Hartmann die Zweifel von Forschern aus ihren eigenen Reihen schon wieder vergessen, die Einhard und andere im Zwielicht erscheinen lassen?
Doch wer an nationalen historischen Heiligtümern zweifelt wie Faußner, lässt die Stresshormone hochkochen, und im empörten Zustand fällt Argumentieren schwer – siehe oben –, so dass frau konsequenterweise gleich ganz darauf verzichtet:
„Diese Theorie ist so absurd, daß sie keiner ausführlichen Erörterung bedarf, zumal dies, wie gesagt, in den Besprechungen früherer Auslassungen Faußners zu diesem Thema bereits geschehen ist, und so kann es hier nur darum gehen, Faußners Art der Argumentation und seine ‚Arbeitsweise‘ kritisch darzulegen, um diejenigen, die seine Methode noch nicht kennen, wie etwa auch Studienanfänger, davor zu warnen“.
Diese Kritik an Faußner ähnelt der an Illig: Die Jugend muss gewarnt werden vor solch unwissenschaftlichen Wirrköpfen! [vgl. Niemitz 1999]. Wie wäre es mit einer neuerlichen Index-Erstellung? Und es geht weiter:
„Wer wie Faußner die frühe Stauferzeit als ‚Filzokratie‘ begreift, ‚die sich als eine zeitlose politische Erscheinung immer dann breitmacht, wenn ein Gemeinwesen seine Würde und seine führenden Persönlichkeiten mit Selbstachtung verloren hat und an deren Stelle die Macher, Beschaffer, Trickser, und Vor- und Fürsprecher getreten sind‘ (Teil 1 S. 173), wer Wibald als ‚Konsulent und Lobbyist‘ charakterisiert (1 S. 172) mit einem ‚Atelier für kreative Diplomatik‘ (2 S. 349) und schreibt ‚im Hochmittelalter‘ seien „Karrieren ... noch nicht bestimmt worden von der sozial-demokratischen Gleichheitsmaxime: Jeder kann Minister werden - wirklich jeder‘ (1 S. 74), hat als ernstzunehmender Historiker jeden Kredit verspielt.“
Auch hier lohnt es sich, die ursprüngliche Stelle nachzulesen. Martina Hartmann lässt hier Faußner als jemanden erscheinen, der aus einer Laune heraus etwas gegen sozial-demokratische Gleichmache rei habe und schiebt ihn so in Richtung: überheblicher Snob. Liest man das Zitat hingegen im Zusammenhang, wird die Argumentation klar: Es geht darum, ob ein Normalsterblicher im Mittelalter eine Karriere bis zum Erzbischof machen konnte, wie dies die Diplomatik im Falle eines Schreibers namens Heribert vermutet. Hierzu Faussner [2003; 73 f.]:
„Etwas beunruhigend aber für die kritische Mediävistik müßte die allgemein zustimmende Aufnahme des ‘Fall Heribert’, der angeblichen Karriere eines über Jahre tätigen Schreibers zum Erzbischof von Besancon, nicht so sehr aus diplomatischer als aus sozialgeschichtlicher Sicht sein; denn noch haben Forschung und Lehre davon auszugehen, daß im Hochmittelalter Karrieren ihre geblütsrechtlichen Voraussetzungen hatten und noch nicht bestimmt wurden von der sozial-demokratischen Gleichheitsmaxime: ‚Jeder kann Minister werden – wirklich jeder.’“
Was soll nun an diesem vollständigen Satz anstößig sein? Wie man sieht, zerfallen die Anschuldigungen gegen Faussner bei korrekter Zitierweise ins Nichts – also ein neuerlicher Fall von Zitiermobbing. Das scheint nun doch Methode und kein bedauerlicher Einzelfall bei Hartmann zu sein. Wie nennt man eine Forscherin, die widersinnig zitiert, um so ihrem Gegner widersinniges Zitieren vorwerfen zu können? Sie „hat als ernstzunehmender Historiker jeden Kredit verspielt“, um ihre eigenen Worte (s.o.) wiederzugeben.
Und warum ist die begründete Einschätzung der Führungsriege einer historischen Epoche als ‚Filzokratie‘ automatisch ein Grund, einem Historiker, der dies darlegt, die wissenschaftliche Seriosität abzusprechen? Sind Figuren des Mittelalters sakrosankt, waren sie allesamt schwebende Heilige ohne Fleisch und Blut, Emotionen usw.? Warum soll es z.B. damals keine Lobbyisten gegeben haben, die um die Mächtigen schwirrten, um etwas Machtblut zu saugen? Weil es „heilige deutsche“ Geschichte ist? Es geht im Übrigen gar nicht um die Einschätzung irgend einer Fakultät.
Auch Hartmann erregt sich über die klaren und treffenden Aussagen, die Faußner über die Irrtümer der Diplomatik macht und ist gleich Schutzmutter, die alle Forschungsgeißlein der Diplomatik vor dem bösen Wolf zu bewahren trachtet:
„Faußner tritt außerdem die diplomatische Forschung seit Theo dor Sickel in großer Arroganz mit Füßen; dafür nur ein Beispiel: ein Zitat aus Klewitz’ Cancellaria-Beitrag von 1937 über die Bedeutung der Hofkapelle für die Herstellung der Königsurkunden, kommentiert er mit den höhnischen Worten: ‚Wäre solches (also die Herstellung der Königsurkunden in der Hofkapelle) der Fall gewesen, so wäre die Hofkapelle zu einem kontemplativen Gralsorden geworden, der im durchschnittlichen Fünf-Jahres-Ritual die Herstellung einer Königsurkunde als sein Kultsymbol zelebrierte‘ (Teil 1 S. 72). Mit dem gleichen Hochmut bzw. der gleichen Verachtung wird aber nicht nur die mediävistische Forschung gesehen.“
Faußner ist weder hochmütig oder höhnisch – wenn, dann etwas spöttisch –, noch äußert er Verachtung; er macht sich nur über offensichtliche Kuriositäten begründet lustig, so wie in seiner Arbeit von 1997 über Schieffer, dem Nachfolger Fuhrmanns im Präsidentenamt der MGH, wo dieser den „zittrigen Duktus“ eines 2,8 cm langen [!] sog. Vollziehungsstriches als Echtheitsbeweis einer Markt- und Münzurkunde für Freising wertet [Faussner 1997 34 f.]. Der zittrige Duktus dokumentiere die nachhaltige Erregung Kaiser Ottos III. in Rom am Tag nach seiner Krönung, als er obendrein eine Urkunde für einen Freisinger Grünmarkt zu vollziehen gehabt hätte! Nervositäten können sich ja dergestalt äußern – genauso wie Altersschwächen eines Fälschers –, aber so etwas als Echtheitsbeweis zu betrachten ist schon Realsatire, die Faußner nur noch zu zitieren brauchte. Sie wird fabriziert von Menschen, die – im Jahre 9 nach Frieds Forderung nach offenen Fenstern [Fried 1996] – längst wieder die Öffnungen ihres Elfenbeinturmes verrammelt haben. So hat unsere Rezensentin auch nichts besseres zu tun, als selbst Wibald vor dem bösen Wolf Faußner zu schützen (Zitat ist Fortsetzung von oben):
„Mit dem gleichen Hochmut bzw. der gleichen Verachtung wird aber nicht nur die mediävistische Forschung gesehen, sondern vor allem Wibald, den nach seinem ‚Zerwürfnis mit Suger von Saint-Denis‘ eine ‚förmlich alttestamentarische haßerfüllte Wut und Rachsucht‘ erfüllte gegenüber seinem ‚nunmehrigen Todfeind‘ (Teil 1 S. 125) und der sich auch von Erzbischof Albero von Trier ‚beiseite gestellt, mißachtet und verraten, und damit unterschätzt’ sieht, so daß er sich ‚schwört, dies Albero heimzuzahlen‘ (Teil 1 S. 137f.). - Arroganz und Bösartigkeit aber sind eigentlich nicht die Merkmale eines ‚Schelmenromans‘!”
Haben wir richtig gelesen? Martina Hartmann wagt sogar vorsichtige Kritik an der Einschätzung Schieffers als „Schelmenroman“! Also doch ‚Frauenstolz vor Königsthronen‘, ohne Karriereängste! Ihr Schluss fällt düster aus:
„Die Tatsache aber, daß es auch noch als Band 1 der ‚Quellen und Erörterungen zu Wibald von Stablo‘ deklariert wird, klingt geradezu wie eine Drohung!”
Also weiterhin Angst vorm bösen Wolf Faußner? Dabei ist sie grundlos, denn der Mainstream steht trotz Fried fest und unkritisch zu Merowingern und Karolingern und zu deren Königsdiplomen samt denen von Ottonen, Staufern usw.! Die Lehrstühle sind noch von den richtigen Leuten besetzt, die Studenten wollen ihre Prüfungen bestehen und antworten linientreu!
Zusammenfassend stellen wir fest, dass Frau Hartmann Faussner mehrfach in manipulierender Weise zitiert und unrichtigerweise als Zeitenspringer darstellt. Das fassen wir als Kompliment für Faussner auf: Eine hoch qualifizierte, habilitierte, mehrjährige MGH-Mitarbeiterin durchfilzt vier Bände seines Werk und findet nichts, was sich direkt gegen ihn verwenden ließe, weder bei seiner Zitierweise, noch bei seiner Argumentation, so dass sie sich zu allgemeinem Geschimpfe und zu Manipulation gezwungen sieht. Ein besseres, wenn auch ungewolltes Kompliment kann man Faussner kaum machen, und so zollen wir ihm noch einmal eigens Anerkennung für sein Werk!
Ansonsten freuen wir uns als Jünger der von Borgolte [1999] freischwebend postulierten Illigquasisekte natürlich – hämisch, höhnisch, hochmütig, unstaatstragend und jugendgefährdend, wie wir nun einmal gemäß Hartmann, Römer und Konsorten sind – auf das nächste Opus H.C. Faußners über Wibald (es geht dem Vernehmen nach darum, dass auch viele Prachtcodices aus dessen Atelier stammen sollen) und wünschen ihm daher Glück, Gesundheit und Schaffenskraft noch für lange Zeit. Und wir wünschen ihm bessere Rezensenten und Gegner, denn, um mit Oskar Werner zu sprechen (bitte mit leicht wienerischem Akzent und herablassend): „Das hat kein Niveau!“
Zitierte Literatur
Anwander, Gerhard (2003): Wibald von Stablo - Hans Constantin Faußner. Mutiger Forscher entlarvt genialen Fälscher; in: ZS 15 (3) 518-524
- (2004) in: Faussner2.pdf; 10
Borgolte, Michael (1999): „Pseudoreligiöse Gemeinde“. Michael Borgolte über die ungelösten Rätsel des Mittelalters (Interview durch Ingo Bach); in: Berliner Tagesspiegel, 29. 6. 99
Brühl, Carlrichard (1986): Die Entwicklung der diplomatischen Methode im Zusammenhang mit dem Erkennen von Fälschungen im Mittelalter; in: Fälschungen im Mittelalter: Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica; München 1986 (1988), Hannover
Faußner, Hans Constantin (1986): Wibald von Stablo, der Trierer Dom- und Reliquienschatz und die Reichskrone; Innsbruck
- (1997): Königsurkundenfälschungen Wibalds von Stablo im bayerisch-österreichischen Rechtsgebiet aus diplomatischer und rechtshistorischer Sicht; Sigmaringen
- (2003): Wibald von Stablo. Erster Teil; Einführung in die Problematik; Hildesheim (Erster von vier Bänden)
Fried, Johannes (1996): Wissenschaft und Phantasie. Das Beispiel der Geschichte; in: Historische Zeitschrift CCLIII (2) 291-316
Hartmann, Martina (2001): Humanismus und Kirchenkritik: Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters: Stuttgart
- (2003): Aufbruch ins Mittelalter. Die Zeit der Merowinger; Darmstadt
- (2005) in: http://www.koeblergerhard.de/ZRG122Internetrezensionen/FaussnerH
ansConstantin-Wibald.htm
Illig, Heribert (1999): Zwischen Karlsgraben, Leipzig und Untersberg. in: ZS 11 (2) 235-241
Niemitz, Hans-Ulrich (1999): „Laßt diesen Gedanken nicht in die Köpfe der Jugend!“ - oder Beobachtungen vom 8. Symposium des Mediävistenverbandes; in: ZS 11 (2) 231-234
Römer, Jürgen (2001): Der Adler als Symbol Karls des Großen?; in: Karl der Große und das Erbe der Kulturen (Hg. Franz-Reiner Erkens); Berlin, 185-193
- (2004) in: www.sehepunkte.historicum.net/2004/06/5138.html
Gerhard Anwander, 87757 Kirchheim i. Schw., Dorfstr. 5
Anwander-PSE@t-online.de